Gewalt passiert überall – auch hier: Ein Interview zum 25. November mit Lisa Rechenberg von der Fachstelle Häusliche Gewalt der LAG Gewaltfreies Zuhause Sachsen e.V.

Am 25. November wird weltweit der Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen begangen – ein Tag, der daran erinnert, dass häusliche und geschlechtsspezifische Gewalt keine Einzelfälle sind, sondern bittere Realität für Millionen Frauen.
Anlässlich dieses Tages haben wir mit Lisa Rechenberg von der Fachstelle Häusliche Gewalt der LAG Gewaltfreies Zuhause Sachsen e.V. gesprochen. Sie arbeitet täglich mit Betroffenen, Berater*innen und Institutionen – und hat uns Einblicke gegeben, wie die Situation in Sachsen aussieht, warum die Dunkelziffer so hoch bleibt und was sich ändern muss.

Wie erlebst du die aktuelle Realität in Sachsen? Gibt es Besonderheiten im Vergleich zu Deutschland insgesamt?
In Sachsen zeigen die aktuellen Zahlen ein weiterhin steigendes Ausmaß häuslicher Gewalt. 2024 wurden über 10.200 Fälle registriert, zwei Drittel davon Körperverletzungsdelikte. Mehr als 10.800 Menschen wurden Opfer, fast 71 % davon Frauen. Etwa jede fünfte polizeilich erfasste Straftat betrifft häusliche Gewalt – ein enorm hoher Anteil.
Dieser Trend zeigt sich auch bundesweit. Gleichzeitig wissen wir: Die Statistik bildet nur die Fälle ab, die überhaupt gemeldet werden. Jede vierte Frau erlebt im Laufe ihres Lebens Gewalt in der Partnerschaft. Das heißt: Wir alle kennen Betroffene – und wir alle kennen Täter*innen.

Gewalt wird oft als Problem „anderer“ gesehen. Wie kann dieses Bild aufgebrochen werden?
Häusliche Gewalt betrifft Menschen in allen gesellschaftlichen Schichten – unabhängig von Herkunft, Bildung oder Einkommen. Unsere letzte Kampagne hat genau diese Stereotype hinterfragt. Wichtig ist dabei: Nicht alle Betroffenen haben die gleichen Chancen auf Schutz und Unterstützung. Deshalb setzen wir uns für Gewaltschutz für alle ein.

Die Dunkelziffer bleibt hoch. Warum zeigen viele Betroffene die Gewalt nicht an?
Viele Frauen schämen sich, zweifeln, ob das Erlebte wirklich „Gewalt“ ist, oder sind durch gesellschaftliche Rollenbilder geprägt wie „so sind Männer nun mal“. Hinzu kommen fehlende Informationen, sprachliche Hürden, ökonomische Abhängigkeiten oder mangelnder Wohnraum. Besonders schwierig ist die Situation für Frauen, deren Aufenthaltsrecht an die Ehe gebunden ist – eine Trennung kann für sie existenziell gefährlich werden.

Welche strukturellen Veränderungen braucht es, um Gewalt zu verhindern?
Gewaltfreiheit ist eng mit echter Gleichstellung verbunden. Frauen brauchen realistische Chancen, ihr Leben eigenständig zu gestalten – etwa eine Wohnung, Kinderbetreuung und Arbeit, die beides vereinbar macht. Zudem beginnt Gewalt oft nicht mit körperlichen Übergriffen, sondern mit Kontrolle und psychischer Abhängigkeit. Deshalb braucht es leichteren Zugang zu Unterstützung, schnellere finanzielle Hilfen und ein System, das Betroffene nicht im Stich lässt.

Wie arbeitet ihr mit der „männlichen Dimension“ – Tätern, Rollenbildern und Prävention bei Männern?
In Sachsen gibt es Beratungsstellen für Männer, die ihr eigenes Gewaltverhalten reflektieren wollen – diese Angebote müssen jedoch bekannter und flächendeckender werden. Geschlechterreflektierende Arbeit sollte viel früher beginnen, etwa in Schule und Jugendhilfe. Denn Kinder, die häusliche Gewalt erleben, haben ein deutlich höheres Risiko, später selbst Täter oder Betroffene zu werden.
Und ganz wichtig: Männer müssen mehr sein als „nicht Täter“. Sie sollten aktiv widersprechen, wenn sexistische oder gewaltverharmlosende Aussagen fallen – denn ihnen wird leider oft schneller zugehört. Mehr Prävention schafft langfristig Veränderung, und dafür bieten wir auch Schulungen an.

Was würdest du einer Person sagen, die gerade häusliche Gewalt erlebt – und wie findet sie Hilfe?
Jede Person hat das Recht auf ein gewaltfreies Zuhause. Auf unserer Website findet man eine Übersicht aller Hilfs- und Schutzangebote in Sachsen. Niemand muss das alleine durchstehen – Unterstützung ist jederzeit möglich. 

Wenn du selbst betroffen bist:

Es gibt Unterstützung – vertraulich, kostenlos, ohne Hürden.

Du bist nicht allein!

Auf der Website „Gewaltfreies Zuhause“ findest du alle Beratungs- und Schutzstellen in Sachsen.

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